Ober-ÖsterreichischeNachrichten, Krems, 01. June 1999

ERKLÄRUNGENZUR KUNST SIND SINNLOS

Interview: Maler Gottfried Helnwein zu seiner "Apokalypse" in der Dominikanerkirche
Irene Judmayer

 
GigantischeKulisse für eine irritierende Schau großformatiger Bilder:Der 1948 in Wiengeborene Maler Gottfried Helnwein zeigt in der sakralen Wucht derDominikanerkirche Krems seine "Apokalypse". Einen Bild-zyklusanläßlich der "Großen Prophezeiungen", heuer Motto des nö.Donaufestivals. Die OÖN sprachen mit dem Künstler, der seit 1997 in Irland lebtund einer der International (u.a. in Japan, China, Finnland, USA, Russland)präsentesten aktuellen Maler Österreichs ist. Erstmals seit sechs Jahren stellter wieder in seiner Heimat aus.
 
OÖN:
DieThematik der Apokalypse war immer Teil Ihrer Arbeit. Warnung, Aufzeigen vonGegenwart oder Endzeitvision?
 
Helnwein:
Nein,nein. Ich will weder aufzeigen noch erklären. Ich denke, daß dieses Themaeinfach etwas erfaßt, das stets da war in der Menschheitsgeschichte. Diemögliche Katastrophe, die mögliche Endzeit. Das hat es immer gegeben. Ich machemeine Bilder intuitiv, will niemanden belehren, niemandem irgendwelcheAntworten geben.
 
OÖN:
Wasist für Sie das Spannende an dieser Ausstellung?
 
Helnwein:
DasAufregende ist, daß ich da einen phantastischen Raum zur Verfügung habe. DieDominikaner wurden hingeschickt, um mit Ketzern und Andersgläubigen sehr brutal "fertig" zu werden. Waren die Jesuiten mehr die intellektuelle Elite,so verkörperten die Dominikaner die ideologische Sturmtruppe, eine Art SA derKirche. In so einem Raum, der tausend Jahre Geschichte trägt und so gigantischeDimensionen hat, eine Ausstellung machen zu können, ist für mich sehr spannend.
 
OÖN:
Worin liegt die Schwierigkeit, dieser architecktonischen und inhaltlichen Kraftüberhaupt entsprechend begegnen?
 
Helnwein:
Es gilt, dieser Macht etwas entgegenzusetzen, das dem Raum eine neue Spannungvermittelt. Das birgt sowohl Gefahr als auch Chance. Der Raum ist eine echteHerausforderung, weil er durch seine Höhe fast alles im Keim erstickt.
Daswar ja bewußt so gebaut, daß man sich in diesen Sakralbauten noch kleiner, nochelender vorkam. Auch wir sind immer noch komplett sprachlos, wenn wir dadarinstehen. Da versteht man dann, warum diese Priesterschaften alles dominierthaben. Es ging da nicht bloß um Spiritualität, sondern um eine Priester-Kaste,die dem Staat eine Ideologie vorgibt.
 
OÖN:
DieKunst war ja in der katholischen Kirche stehts in diese Struktur eingebunden.
 
Helnwein:
Ja,das ist auch die große Stärke der katholischen Kirche. Aufgrund ihrer "Propaganda" ist es zu phantastischen Kunstwerken gekommen.
 
OÖN:
Siehaben Ihre Arbeiten eigens für dieses Kirchenschiff entwickelt?
 
Helnwein:
Etwazwei Drittel der Werke entstanden direkt für den Raum. Wenn man da unten kleineBilder aufhängt, das übersieht man. Ich wollte hier ja auch eine ArtGesamtkonzept entwickeln, auf die Raumdimension eingehen.
Ichhabe sowohl die gemalten, als auch die fotographischen Bilder vergrössert aufFormate, die der Raum braucht.
 
OÖN:
Wieist es mit dem Aktualitätsbezug der Werke?
 
Helnwein:
Ichglaube, dass sich die Bilder für den Betrachter vor dem Hintergrund der Ängste,die es gibt, schon entschlüsseln.
Ichkann sie aber nicht erklären, Erklärungen für Kunst sind ohnehin sinnlos, sie  zerstören alles.
 
OÖN:
AproposErklärung. Wie stehen Sie zur momentan massiven analytischen Kunstvermittlung?Verliert Kunst dadurch einen Teil ihrer Aura?
 
Helnwein:
MitSicherheit. Alles analytisch über den Kopf, über die Ratio zu machen, damitkommt man der Kunst nicht wirklich nahe. Der wichtigste Teil ist das, wasjemand intuitiv, also sinnlich wahrnimmt. Nur so kann sich Kunst vermitteln.Egal ob dies Mozart oder zeitgenössische Bildende Kunst ist.
 
OÖN:
Istfür Sie das Malen ein selbstquälerischer Prozess?
 
Helnwein:
Manleidet eher, wenn man den Ereignissen ausgesetzt und zur Tatenlosigkeitverurteilt ist. Aber wenn ich hingehe und mit meiner Kunst darauf reagiere, istes ein Akt der Befreiungn für mich selbst und für das Publikum.

OÖN:
Gibtes für Sie eine Funktion von Kunst?
  
Helnwein:
Ja,ich bin fest überzeugt dass Kunst die einzige Kraft ist, die alles verändern,transformieren, auflösen kann. Ich glaube auch, dass momentan Kunst masslosunterschätzt wird und immer, wenn die Kunst ihre Macht verliert, brichtDestruktion aus. Es ist zwar nicht rational beweisbar, aber langfristig seheich nur die Kunst als echte Gegenkraft zu den destruktieven Kräften.
 
 
WENNENGEL FALLEN, DANN TUN SIE DAS KOPFÜBER
 
DominikanerKirche, Krems. Das Gotteshaus, längst seiner ursprünglichen Funktion enthoben,ist seit einigen Jahren Stadtmuseum.
 
Scheulächelnd neigt eine teutonische Madonna an der linken Wand den Blondkopf. Das nackte Kind auf den Knien. Rund um Männer, das Haupt gesenkt. "Epiphanie. Anbetung der Drei Könige" heisst es, "Anbetung der Hirten" einzweites in ähnlicher Manier. Doch es wär nicht von Gottfried Helnwein, wär die Idylle nicht radikal gebrochen. Hohe Nazi-Schergen zollen statt der drei Weisen aus dem Morgenland dem Gebärtier und dem zukünftigen Kanonenfutter Tribut.


Derlei Radikalität ist Helnweins Markenzeichen und auch in diesem Zyklus "Apokalypse" spielt er mit bekannten Mechanismen. Mit der Gratwanderung zwischen Ekel und Faszination bei Tod, Verletzung, Behinderung. Opfer gewaltsamer Eingriffe im Tiefgeschoss und oben statt der Kreuzwegstationen. Statt der Heiligen hängen Musikstars in Nischen und an Wänden. Fehl- und Totgeburten vertreten die üblichen Putti als "Angels" auf den Emporen. Gemaltes, Fotografiertes digital auf Leinwand übertragen, malerisch überhöht. Wolfsrachen, Down-Syndrom, Wasserkopf. Präzise formulierte Bewusstmachung als künstlerische Botschaft. Im perfekten malerischen und literarischen Gestus eines perfiden Bild-Geschichtenerzählers.
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Brutal auch sein "Selbstporträt" in linken Winkel. Dort, wo sich oft ein Gekreuzigter findet, oft eine Schmerzensreiche. Das Triptychon zeigt Helnwein selbst. Übermalt, überwuchert. Ein höchst strenges Symbol für die eigene Krankheit.
All dies wird beherrscht von dem gigantischen Altarbild, das ebenfalls einen seiner "Angels" präsentiert: Ein durchsichtig geäderter Fötus, der dem Boden entgegenstürzt. Nonstop offenbaren sich hier dem Betrachter Zustände innerer Unruhe.
Soist es eben: Wenn Engel fallen, dann tun sie das kopfüber. Und immer ohne Netz.
 
For complete interview with pictures, click here: http://www.gottfried-helnwein.at/presse/local_press/artikel_29.html